Tag Neun (20. Juli)
Heute ist schon der letzte richtige Chorfahrt-Tag! Wir frühstücken heute ein wenig gemütlicher als sonst und machen uns dann auf den Weg nach Schäßburg/Sighisoara. Bevor die angekündigte Führung beginnt, ist noch Zeit für eine Runde Ladenbummel. Die Führung beginnt allerdings auch noch etwas später, denn der Schäßburger Kantor Theo Halmen, der uns durch die Bergkirche führen wird, muss erst noch zwei Öfen abladen. Was Kantoren so alles zu tun haben! Wir sind gar nicht böse über die zusätzliche Pause und suchen uns ein paar schattige Plätzchen. Die Führung wird spannend, verschmitzt und mit vielen Mitmach- und Rate-Optionen. Als wir uns zwischendurch bei einer anderen Reisegruppe niederlassen, die auch zum abendlichen Konzert eingeladen wird, regt Theo Halmen an, dass wir vielleicht schnell was Kleines singen könnten. Und das tun wir natürlich gern: Wir singen den Tischkanon „Saget Gott Dank allezeit“, den die Musicalgruppe vor drei Jahren aus Siebenbürgen mitgebracht hat – verfasst vom Schäßburger Kantor höchstpersönlich. Das bleibt nicht die einzige Gesangseinlage dieser Führung. Unten in der ehemaligen Beinkammer bringt uns Theo Halmen noch einen kleinen Grusel-Kanon bei, der zwischen dicken Mauern und bei wenig Licht erst so richtig zur Geltung kommt.
Nach der Führung ist Mittagspause, und wir verteilen uns über die Stadt. Auf dem Marktplatz posiert eine Hochzeitsgesellschaft für den Fotografen, und angesichts der unglaublichen Glitzerkleider der Brautjungfern ist Susi sicher: Wenn Nicole beim Intro von „Riverside“ immer sagt, die Soprane sollten singen, als würden sie im Glitzerkleid in einem Lichtkegel stehen, dann muss sie genau solche Kleider meinen!
Nach der Mittagspause ist es immer noch heiß. Aber da wir ab halb vier in der Bergkirche proben, müssen wir uns noch einmal die vielen Stufen emporkämpfen. Und heute müssen wir wirklich proben, denn Katja und Robert müssen sich schon vor dem abendlichen Konzert auf den Rückweg machen, sodass einige Soli nachzubesetzen sind. Und wie sich herausstellt, ist auch die Akustik der Bergkirche nicht ganz einfach. Noch weniger einfach ist es nach der Probe, einen Toilettenschlüssel zu bekommen. Und dann wartet noch ein erst kurzfristig besprochener Einsatz auf uns: Direkt vor unserem Konzert findet in der Bergkirche eine rumänisch-finnische Hochzeit statt, und in Absprache mit dem schon wieder ausgesprochen netten Ortspfarrer überraschen wir die Hochzeitsgesellschaft mit zwei Chorstücken.
Dann ist es Zeit für das letzte Konzert dieser Reise. Wie sich in Peters Anmoderation herausstellt, sitzen überraschend viele deutschsprachige Leute im Publikum, und fast alle anderen können englisch. Wir können also darauf zählen, dass viele die Liedtexte verstehen werden, und müssen die Moderationen nicht übersetzen lassen. Ein letztes Mal schmettern wir „Let us adore“ von beiden Seiten und stellen uns dann für den ersten Themenblock vorne auf. Man könnte meinen, dass sich am Ende der Reise im Chor schon Erschöpfung bemerkbar macht, aber schon weit am Anfang gibt es einen Ausreißer in die andere Richtung: Der Over-Flo will seinen gestrigen Auftritt noch toppen und gestaltet gleich das erste Solo des Konzerts zu einer (diesmal absichtlichen) Impro-Kaskade. Die zweite und dritte Strophe von „Swing low“ haben danach eine fast schon protestantisch-schlichte Schönheit… oder sind wir einfach schon zu lange in diesem Konfessionspuzzle unterwegs? Beim ungeliebten „Wrestle on Jacob“ zählt Nicole einen für das Publikum nicht sichtbaren Strophen-Countdown, und der letzte Ton dieses Liedes ist noch nicht verklungen, da geht großes Glockengetöse los. Zwar würde – wie schon in Sächsisch Regen – die Tonart grundsätzlich passen, aber die Lautstärke lässt eine kleine Gesangspause doch angeraten erscheinen. Dadurch starten wir etwas erholt in die letzten Stücke des Konzerts, und nach einer kleinen Zugabe ist auch das letzte Konzert geschafft.
Allerdings sorgt dann ein kleiner Kulturschock erst mal für Diskussionen innerhalb des Chors und auch mit den Leuten vor Ort: Offenbar wurde während des Konzerts außen eine Gittertür abgeschlossen, und die Menschengruppen, die dort (für den Chor gut sichtbar) immer wieder auftauchten, wurden weggeschickt. Das haben wir noch nie erlebt. Darf man hier nicht später in ein Konzert kommen, oder hätten diese Leute nur kurz die Kirche angucken wollen? Ist das ein legitimer Weg, in einer touristisch sehr gefragten Kirche auch mal unter sich zu sein? Der Ortspfarrer und Peter erklären uns die Hintergründe, aber ein bisschen befremdlich bleibt es trotzdem. So eine Chorfahrt ins Ausland ist halt immer auch eine Begegnung mit einer anderen (kirchlichen) Kultur – und eigentlich ist ja genau das spannend.
Jetzt haben wir aber erst mal noch was Besonderes vor: Peter hat vorgeschlagen, dass wir zum Abschluss der Reise in der Bergkirche miteinander eine Abendmahlsfeier halten können, und das tun wir jetzt. Mit dem einen oder anderen liturgischen Hänger, weil unsere Traditionen eben doch nicht ganz deckungsgleich sind und wir ohne Orgel oder Gesangbücher ganz auf uns gestellt sind. Aber es ist schön, wie wir da alle im Altarraum im Chorgestühl sitzen, uns dann gegenseitig Brot und Wein reichen und noch einmal ganz für uns singen: You fill my cup, let it overflow…
Letzter Abend. Peter ist noch einmal mit nach Acatari gekommen, wird sich aber nach dem Abendessen auf den Weg machen müssen. Bevor es aber soweit ist, kommen noch allerhand Überraschungen: Inga hat im türkisen Büchlein kleine Briefchen und Zeichnungen der „Kombinatsgeschwister“ gesammelt und überreicht es der ganz gerührten Nicole. Und auch Peter wird reich beschenkt, mit diversen kulinarischen, kulturellen und kerzenförmigen Mitbringseln aus Vorpommern und den Socken, die Nicole gerade noch im Bus fertiggestrickt (und vernäht!) hat. Viele spontane Dankesreden werden geschwungen, und es ist unverkennbar: Wir haben eine tolle Chorfahrt miteinander erlebt! Das finden die Chorsängerinnen und -sänger ganz genau so wie die „NSA“ (Nicht Singende Angehörige), für die diese Bezeichnung diesmal aber gar nicht so recht passt, nachdem sie alle Konzerte mit großem Einsatz mit begleitet haben. Ein letztes Mal setzen wir uns an die Schnellstraße, füllen den Tisch mit Ciuc-Radler, Schokolade, Wasserpfeife, den unvermeidlichen Mais-Röllchen, Stefans neuerworbenen Schnapsgläsern und dem entsprechenden „Zubehör“, das wir schon in Petersberg geschenkt bekommen hatten, und machen uns wieder mal ans Ausklingen.
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