Tag Sieben (18. Juli)
Für das erste Frühstück in Acatari brauchen wir eine Gebrauchsanweisung. Auf jedem Platz steht schon eine gefüllte Müslischüssel, und ehe die nicht geleert ist, geht es mit dem Frühstück nicht weiter. Dass pro Person nur eine kleine Tasse Kaffee oder Tee vorgesehen ist, entpuppt sich als organisatorische Herausforderung, aber schließlich machen wir uns alle abgefrühstückt und mehr oder weniger wach auf den Weg.
Wir fahren nach Sächsisch Regen/Reghin und halten erst mal kurz an unserer heutigen Konzertkirche, die ihren reformatorischen Stolz schon auf der Außenseite deutlich macht – und dabei den Reformator Kimpius nennt, den wir als Klimpius noch schicker fänden. Wie sich bald herausstellt, haben wir hier nur gehalten, um ein dynamisches Duo mit an Bord zu nehmen: den ehemaligen Ortspfarrer, der in seinem Ruhestand hier Sommervertretung macht, und einen pensionierten Lehrer der angeschlossenen Schule. Schon, wie uns die beiden in Doppelconference durch den Ort navigieren, ist ein großer Spaß. Und dann landen wir an einem ganz besonderen Ausflugsziel…
In der berühmten Geigenbau-Stadt Sächsisch Regen steht die Instrumentenfabrik Hora, eine der größten ihrer Art in ganz Europa. Wenn nicht sogar die größte. Einer der Ingenieure leitet uns durch die verschiedenen Fertigungshallen, der ehemalige Lehrer übersetzt, und wir machen große Augen. Man kann zum Klang von Streichinstrumenten sicher unterschiedliche Einstellungen haben, aber wie hübsch und elegant diese Instrumente sind, ist in jedem Stadium ihrer Fertigung zu sehen. Fasziniert und begeistert fragen wir Ingenieur, Lehrer und Pfarrer Löcher in den Bauch – und können uns gar nicht satt sehen. Und dabei wartet noch eine besondere Überraschung auf uns!
Während einer vermeintlichen Verschnaufpause auf dem Fabrikhof kommen auf einmal der Generaldirektor der Firma und ein zufällig gerade anwesender Instrumentenhändler der Firma Gewa aus Deutschland auf uns zu, flankiert von einem großen schwarzen Kasten. In diesem Kasten ist eine wunderschöne Gitarre aus Zedernholz… und wir bekommen diese Gitarre geschenkt! Mit glänzenden Augen und spontaner Motivation für ein gitarrenbegleitetes „psalms & spirituals 2“ ziehen wir weiter. Was man auf Chorfahrt alles erleben kann!
Jetzt wartet noch der Werksverkauf – und damit eine Nervenprobe für Gepäckmeister Frank, der schon überlegt, wie das dann alles in den Bus passen wird. Aber es gibt ja auch noch PKWs mit weniger Besetzung… und so dürfen einige von uns zuschlagen. Eine Geige wird gekauft, zwei Gitarren, eine Mundharmonika – und ein eigenartiger Gläserständer mit sechs Schnapsgläsern, der Stefan offenbar mehr in den Bann gezogen hat als alle Instrumente.
Damit hat er den Ton für die nächste Unternehmung schon ganz gut getroffen. Kaum haben wir nämlich das Pfarrer-Lehrer-Duo wieder an der Kirche abgesetzt, steigt ein Kirchenältester der Gemeinde zu, dessen Familie in Weingut in der Nähe betreibt. Jetzt also: Weinverkostung! Peter, Nicole, Charlize und Katja haben noch eine Blitzaktion im Supermarkt hingelegt, und so können wir während der Autofahrt in einer Art Unterwegs-Picknick noch ein paar Grundlagen für dieses alkoholische Ereignis legen. Wir kurven durch die Weinberge und stehen schließlich wieder in einer Halle, diesmal vor großen Tanks. Trockener Weißwein gedeiht in dieser Gegend besonders gut, und so kosten wir uns von Mädchentraube bis Chardonnay eine Runde durch. Die Chorjugend, verstärkt durch diejenigen unter uns, die es mit Alkohol entweder sowieso nicht so haben oder fahrbedingt Abstinenz üben müssen, finden sich unter einem großen Walnussbaum im Hof ein. Katja, Robert und Mareen freuen sich an einer immer wieder vorbeischleichenden Siamkatze, die anderen scharen sich um das mitreisende Chorbaby, das den Walnussbaum sichtlich gut findet. Auch hier gibt es einen Werksverkauf, und die Weinkisten passen bestimmt perfekt unter die Bänke im Bus…. Jedenfalls decken wir uns ein bisschen ein, und Nicole kreiert versehentlich eine neue Weinsorte namens Chauvignon. Wir können gar nicht zu Ende rätseln, ob das ein Verschnitt aus Chardonnay und Sauvignon sein soll, oder ob dieser Versprecher von der einen oder anderen siebenbürgischen Begegnung herrührt, nach der ein ähnlich klingendes Stichwort in der Luft gelegen haben mag. Denn jetzt müssen wir schnell los – immerhin müssen wir noch proben und das Aufnahme-Equipment aufbauen!
Aber leider – heute ist nicht nur der Tag der besonderen Ausflüge, sondern offenbar auch der Tag der angeschlagenen Sopraninen. Conny fällt ganz aus, Charlize singt nur auf Halbmast, und Nicole trifft Vorsorge für eine laaange Zwischenmoderation von Peter, falls sie mal kurz rauslaufen muss. Und – ob aus Solidarität mit den Sopranen, die ihm ja immer am nächsten stehen, oder vor Aufregung wegen des Vorfahren K(l)impius: Auch Klimpi ist heute nicht gut drauf. Bei der Probe klang noch alles in Ordnung, aber beim Konzert klingen die Töne definitiv nicht gesund. (Welcher falsch gedrückte Knopf daran schuld war, stellt sich erst am nächsten Tag heraus – und wer diesen Knopf gedrückt hatte, wird wohl ein Geheimnis bleiben.)
Und all das ausgerechnet heute, wo all die netten Leute im Publikum sitzen, die wir auf unseren Ausflügen kennengelernt haben! Aber ganz so schlimm kann es gar nicht sein. Man sieht, dass viele Leute von unserer Musik angerührt sind, und Peter lässt sich vor dem letzten Stück sogar zu einer so begeisterten Spontanmoderation hinreißen, dass es auch im Chor in dem einen oder anderen Auge zu glitzern beginnt. Und nach dem Konzert müssen wir sogar Autogramme geben.
Drüben im Gemeindehaus wartet auch diesmal ein üppiges Abendessen auf uns. Und ein begeisterter Vertretungspfarrer, der nicht nur in Siebenbürgen, sondern auch lange in der Schweiz als Pfarrer im Einsatz war – und uns dorthin gerne auch einmal einladen möchte. Sieh an, sieh an… Tatsächlich war die Schweiz schon aus anderen Gründen als nächstes Chorfahrtland im Gespräch gewesen. Wir bleiben gespannt!
Nach diesem an Höhepunkten ohnehin nicht gerade armen Tag wartet in unserem Quartier noch eine weitere „Überraschung“: Eine riesige Kindergruppe ist gerade angekommen, das Hotel schwirrt und wir fürchten schon um unsere abendlichen Stammplätze zum Gemütlich-Ausklingen. Die Plätze können wir ergattern, aber gleich nebenan bauen die Kinder sich einen riesigen Sitzkreis, setzen sich hin und beginnen zu singen. Um halb elf! Die Stichworte, die wir verstehen können, lassen auf ziemlich patriotische Gesänge schließen, was Peter bestätigt. Ein paar Lieder warten wir ab, dann grätschen wir in die kurze Pause ein „Riverside“ hinein. Die Kinder horchen auf, die Gesichtsausdrücke der Betreuer können wir in der Dunkelheit nicht erkennen, aber nun entwickelt sich eine Art Sängerwettstreit vor der berückenden Kulisse der nächtlich befahrenen Schnellstraße. Ein Lied die rumänischen Kinder, ein Lied wir, und bald beklatschen wir einander nicht nur frenetisch, sondern klatschen auch bei den Liedern beider Seiten gemeinsam mit. Müssen Kinder in Rumänien eigentlich nie schlafen gehen? Am Ende tapsen wir noch in gemeinsam Kreistänzen durch den Hof, begleitet von lauten und schrillen Pfiffen. Man kann nur hoffen, dass in diesem Hotel heute niemand abgestiegen ist, der schlafen will!